eim zweiten Teil zum Thema „Hilfe holen“ möchte ich nun über die möglichen Hilfsangebote sprechen, die uns zur Verfügung stehen. Das Thema ist unfassbar komplex, bürokratisch und eng verwoben mit finanziellen Fragen. Ich habe mein Bestes gegeben es so kurz wie möglich zu halten.

Nach dem Lesen des vorigen Blogeintrages bist du ja nun voll motiviert deine psychischen und emotionalen Probleme anzupacken. Aber wohin geht man damit? Klinik? Hausärzt*in? Beratungsstelle? Nächste*n Psychiater*in?

Die Antwort hängt von folgenden Fakten ab:

  • welche Bevölkerungsgruppe gehört die betroffene Person an, z. B. Kind/Jugendliche*r, Arbeitssuchend*e, Rentner*in
  • was ist das Problem, z. B. Sucht, psychische Erkrankung, traumatisches Erlebnis, Lebenskrise, Paarproblematik, Essstörung, Überarbeitung
  • wie schwer wiegt das Problem, z. B. mit oder ohne Suizidalität, schränkt es die Arbeitsfähigkeit oder den Alltag schwer ein, ist es ein dringendes Problem

Manchmal kann man diese Fragen gar nicht selbst so genau beantworten. Oder die Meinung von Bezugspersonen um einen herum fällt ganz anders aus, als die eigene Einschätzung. In solchen Fällen macht es Sinn das Erstgespräch zu suchen bei der Hausärzt*in oder der nächsten Psychiater*in, Neurolog*in oder Psycholog*in. Hausärzt*innen haben im Normalfall Grundkenntnisse und überweisen dich weiter. Falls du dich allerdings schlecht aufgehoben fühlst oder deine Probleme nicht ernst genommen werden, hol dir eine Zweitmeinung und den Rat einer der drei oben genannten Expert*innen.

Psychiater*innen, Neurolog*innen und Psycholog*innen sind theoretisch alle drei in der Position Diagnosen zu stellen. In der Praxis gilt die Regel: anrufen und nachfragen, denn nicht jede*r tut es auch. Meistens taucht hier schon das Problem der langen Wartezeiten auf. Selbst auf ein Erstgespräch musst du eventuell mehrere Monate warten.

Und dann gibt es noch Heilpraktiker*innen für Psychotherapie, so wie mich. Wir stellen meistens Diagnosen (ich tue es) und senden dich gegebenfalls an besser passende Stellen weiter, oder therapieren selbst. Gesellschaftlich gesehen, sollen HP für Psychotherapie ergänzend zu Ärzt*innen arbeiten. Da wir derzeit eine sehr große Versorgungslücke in Deutschland haben, sind HPs eine gute Alternative. Die Krankenkassen sehen es trotzdem nicht so gern und zahlen im Normalfall gar nichts. Das ist leider der Haken an der Sache. Es gibt aber noch andere Geldtöpfe, frag am Besten mal bei der HP für Psychotherapie direkt nach. Wartezeiten auf Gespräche und auch Therapie gibt es meistens so gut wie gar nicht.

Schaubild aus meinem Vortrag „Burnout bei Eltern“
Du hast ein sehr drängendes Problem, wie akute Depression oder Suizidalität?

Dann such dir die Adresse der nächsten psychiatrischen Klinik raus und ruf dort an. Psychiatrische Klinik steht nicht für Psychiatrie und gleich geschlossene Station (der Irrglaube hält sich leider), sondern verfügt meistens über verschiedene Zweige z. B. auch eine Tagesklinik. Wer sich in Lebensgefahr fühlt, akute Panikattacken hat oder sein Leben überhaupt nicht mehr im Griff hat, ist hier an der richtigen Adresse. Auch bei schweren Essstörungen (Gewicht dauerhaft unter 50kg = Lebensgefahr) ab zur nächsten Klinik. Vorher anrufen ist immer gut, aber notfalls kann man auch direkt hinfahren. Kliniken sind bei akuter Selbstgefährdung (Suizidalität) verpflichtet dich aufzunehmen, auch wenn sie gestopft voll sind. Oder dich weiter zu vermitteln. Andere Betroffene müssen auch bei Kliniken mit Wartezeiten von Monaten bis zu 1 Jahr bis zur Aufnahme rechnen, Erstgespräche kriegt man meist schnell.

Wenn du nachts oder am Wochenende plötzlich zusammenklappst, rufst du entweder den Krankenwagen oder die 116 117. Beide helfen auf jeden Fall sofort und vermitteln auch weiter. Stellt das medizinische Fachpersonal des ärztlichen Notdienstes 116 117 fest, dass du Anspruch auf Psychotherapie hast, sind sie verpflichtet dir innerhalb von 2 Wochen einen ambulanten Therapieplatz in vertretbarer Nähe zu besorgen. Wenn es den nicht gibt, hast du schonmal eine gute Grundlage dir eine*n HP für Psychotherapie zu suchen und bei der Krankenkasse eine Finanzierung zu erhalten.

Du hast ein moderates Problem oder weißt gar nicht, ob es psychische Ursachen hat?

Hausärzt*in ist auch hier eine gute erste Option. Auch weil du dort die Überweisung bekommst zur Psychotherapie bei Psychiater*in, Psycholog*in oder approbierte*r Psychotherapeut*in. Letztere kann man auch privat bezahlen, was die Wartezeiten auf wenige Tage/Wochen verkürzen kann.

Parallel kann man sich an die nächste Beratungsstelle wenden. Wir haben eine gute Dichte an Beratungsstellen, die meist sehr kompetent sind. Je nach Problem gibt es:

  • Familienberatung oder Paarberatung
  • Sucht-/Drogenberatung
  • Anlaufstellen für Opfer von Gewalt
  • Sozial-/Lebensberatung
  • Frauenberatung
  • Schwangerenberatung (oft auch anonym)

Und noch viele andere. Google einfach mal oder schau auf der Seite deiner Gemeinde/Stadt oder kirchlichen Trägern, wie Diakonie und Caritas. Ruf vorher an, oder geh spontan zu den Öffnungszeiten vorbei. Beratungsstellen sind auch immer eine gute Option für Angehörige, die unsicher sind, ob ein psychisches Problem vorliegt oder selbst sehr belastet sind.

Du hast eher eine Krise, als ein psychisches Problem und das Gefühl, dass du nur ein paar Sitzungen oder einen kräftigen Schubs brauchst?

Dann kannst du dir wahrscheinlich die Diagnose sparen. Ein Besuch bei der Hausärzt*in empfehle ich trotzdem, einfach um körperliche Ursachen, wie Schilddrüsenerkrankung oder Nährstoffmangel aus zu schließen. Von dort kannst du direkt weiter zu eine*r Therapeut*in. Entweder mit Wartezeit und von der Kasse bezahlt bei Psychiater*in, Psycholog*in oder Psychotherapeut*in (Neurolog*innen führen keine Therapien durch, sie behandeln nur medikamentös) oder privat gezahlt bei eine*r HP für Psychotherapie oder eine*r Therapeut*in ohne Approbation. Letztere können systemische, tiefenpsychologische Therapeut*innen, Psychotherapeut*innen, Verhaltenstherapeut*innen oder – wie ich – Kunst-/Gestaltungs-/Musik-/Tanztherapeut*innen sein. Die Therapiemethoden sind zahlreich und jede*r Therapeut*in sehr unterschiedlich spezialisiert. Am Besten nach kostenlosen Erstgesprächen schauen und dann diejenige auswählen, mit der man wahrscheinlich am Besten klarkommt und sich gut aufgehoben fühlt.

Krankenkassen übernehmen meistens nur approbierte Psychotherapeut*innen, Psycholog*innen und Psychiater*innen, weil nur diese Berufszweige sogenannten geschützte Berufsbezeichnungen führen. „Therapeut*in“ darf sich in Deutschland jeder nennen, auch ohne Ausbildung. Genauso „Kunsttherapeut*in“ oder „Coach“. Dennoch gibt es kompetente Therapeuten, mit Studium und allem drum und dran, am Besten vorher auf der Website informieren. Auch viele Coachs und Lebensbegleiter*innen sind gut qualifiziert und bei z. B. Lebenskrisen oder Trauerbegleitung Gold wert. Auch hier verweise ich wieder auf kostenlose Erstgespräche, in denen man die Qualifikation erfragen kann. Eine Ausnahme bezüglich der Berufsbezeichnung bilden übrigens HP für Psychotherapie, die ihren Titel nur nach bestandener Prüfung durch das Gesundheitsamt führen dürfen (und trotzdem von den meisten Krankenkassen nicht anerkannt werden).

Du bist Kind/Jugendliche*r oder Erziehungsberechtigte*r?

Bei Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen und/oder auffälligem Verhalten gibt es verschiedene Möglichkeiten. Kurz zusammengefasst von sehr schwerwiegenden Problemen bis leichten Schwierigkeiten:

  • Krankenwagen oder 116 117
  • nächste Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
  • ambulante*r Kinder- und Jugendpsychiater*in (besonders bei Diagnosefragen und medikamentöser Behandlung)
  • ambulante*r Kinder- und Jugendpsychotherapeut
  • HP für Psychotherapie, wahlweise mit Spezialisierung auf Kinder/Jugendliche
  • Jugendamt
  • Familienberatungsstelle oder Kinder- und Jugendberatungsstelle
  • Schulsozialarbeiter*in

Das Jugendamt sollte vor Allem mit ins Boot geholt werden, wenn keine eindeutige Diagnose vorliegt und trotzdem Maßnahmen finanziert werden sollen. Außerdem sind sie oft gut vernetzt, genauso wie Beratungsstellen.

Du bist arbeitssuchend gemeldet?

Ziel des Jobcenters ist es ja, Arbeit an arbeitsfähige Menschen zu vermitteln und entsprechend die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Wenn dein psychischer Zustand aktuell keine Arbeitssuche zulässt, besprich das mit dem zuständige*n Mitarbeiter*in vom Jobcenter. Erstmal sollte dort bekannt sein, dass du deine Zeit und Energie gerade in die Suche einer Therapie steckst und nichts anderes schaffst. Außerdem gibt es in einigen Städten, z. B. Leipzig und München, Modellprojekte, bei denen du an Beratungen oder therapeutischen Workshops teilnehmen kannst. Und je nach Mitarbeiter*in wird dir vielleicht auch geholfen bei der Organisation der Therapie, bei Fahrtkosten oder bei der weiteren Versorgung deiner Familie. Nachfragen kostet nichts.

Auch die Krankenkassen übernehmen ab und zu die Fahrtkosten zur Therapie.

Alle gemachten Angaben sind ohne Gewähr und beruhen auf meinem aktuellen Informations- und Erfahrungsstand.